Betroffene Stille im Atrium

Ein Leben ohne Handy? Unvorstellbar für die meisten von uns. Schnell mal was googeln, E-Mails checken, der Freundin eine kurze Nachricht schicken, nach dem Wetter schauen oder den richtigen Weg finden – so nutzen die meisten Erwachsenen das kleine digitale Gerät, das uns oft den ganzen Tag lang begleitet. Es kann das tägliche Leben tatsächlich erleichtern, sollte man meinen. Trotzdem ist uns allen bewusst, dass in der digitalen Welt auch viele Gefahren lauern, vor allem natürlich für die jüngsten Nutzer, die diese Gefahren oft nicht richtig einschätzen können und ihnen deshalb in besonderem Maße ausgesetzt sind. Das war der Ausgangspunkt für die klassenübergreifende Elternversammlung am 17. 10.2024, durchgeführt von der Polizeiinspektion Hildburghausen. Der Einladung waren einige, wenn auch nicht allzu viele Sorgeberechtigte gefolgt, das Kollegium der Nonne-Schule war nahezu vollständig vertreten und auch der Bürgermeister unserer Stadt Herr Hammerschmidt sowie die Leiterin des Sozialamtes Frau Baumann waren zugegen, da ihnen das Thema am Herzen liegt.

In der zweistündigen Veranstaltung herrschte Mucksmäuschenstille, die sich nur mit der durch den Vortrag ausgelösten Betroffenheit erklären lässt. Denn die beiden Referentinnen, die Polizeihauptmeisterinnen Frau Ernst und Frau Scheller, Präventionsbeauftragte im Landkreis Hildburghausen, deren Ausführungen von einer aufwendigen Präsentation begleitet wurden, nahmen von Anfang an kein Blatt vor den Mund. So sei z.B. nahezu jeder Grundschüler, also auch die Kinder der Anwesenden, schon einmal straffällig geworden. Es reicht, unerlaubt Bild- oder Tonaufnahmen von jemandem zu machen und diese online zu verbreiten. Das klingt natürlich noch harmlos. Ist es auch im Vergleich zu den folgenden Ausführungen, die zum Beispiel aufzeigten, was unsere Kinder sich alltäglich im Internet anschauen: Gewaltdarstellungen, Vergewaltigungen, Mord, Pornografie, Folter – all das ist im Internet für jeden sichtbar und sorgt für die Empathielosigkeit, Verrohung und Abstumpfung der jungen Menschen, die im „wirklichen“ Leben zweifelsohne zu bemerken sind. Die Bild- und Videobeispiele waren für einige der Zuschauenden nur schwer zu ertragen. Begriffe wie „Sexting“, „Cybergrooming“, und „Sextortion“ wurden verständlich erklärt sowie Möglichkeiten der Abwehr erläutert.

Besonders schockiert waren die Besucher der Elternversammlung auch von der Beschreibung der verschiedenen TikTok-Challenges, die jeder Nutzer zwar vielleicht noch nicht probiert hat, aber zumindest kennt: Da gibt es die Hot Chip-Challenge, bei der superscharfe Chips (nur mit Handschuhen anzufassen und inzwischen nicht mehr im deutschen Handel erhältlich), verspeist werden. Beim Pilotentest führen die Kinder durch Hyperventilieren und Druck auf den Brustkorb gezielt eine Ohnmacht herbei. Während man sich damit oder auch der Fire- und Deo-Challenge zumindest nur selbst schadet, verschafft man sich bei der Knockout-Challenge einen Kick, indem man Menschen auf offener Straße ohne Vorwarnung niederschlägt oder zu Fall bringt. Das ist nicht nur gefährlich, sondern in erster Linie kriminell. Natürlich hält jedes Mal eine Kamera auf das Geschehen, damit es im Netz „bewundert“ und geliked werden kann. Übrigens gab es bei den meisten dieser Challenges auch schon Tote.

Wie kann man seine Kinder davor schützen, sich an solch riskantem Unsinn zu beteiligen? Diese Frage stand natürlich ständig im Raum. Vor allem Aufklärung und Offenheit zwischen Eltern und Kindern ist wichtig, aber manchmal helfen auch nur Kontrolle und Verbot. Andererseits hat natürlich „eingeschränkte Handyzeit“ rein gar nichts mit Medienerziehung zu tun, sondern verleitet die Kinder nur, die eingeschränkte Zeit intensiver zu nutzen oder sogar mit Tricks zu umgehen.

Einen breiten Raum nahm das Thema Kinderpornografie ein. Unmissverständlich wurde geklärt, dass Tanzvideos mit leichtbekleideten Mädchen, oft gedreht im Kinderzimmer, bereits den Tatbestand der Kinderpornografie erfüllen, wenn sie im Internet, z.B. auf WhatsApp oder TikTok, veröffentlicht werden. Schon der Besitz solcher Videos auf dem eigenen Handy ist strafbar.

Viele Kinder und Jugendliche folgen Influencern, die ein Leben in Luxus, Reichtum und mit extravaganten Ausgaben präsentieren. Diese Darstellungen erwecken den Eindruck, dass schnelles Geld leicht verdient ist, was die Kinder und Jugendlichen dazu verleitet, riskante und illegale Maßnahmen zu ergreifen. Diese können sich im Nachhinein als „Geldwäsche“ herausstellen.

Auch Computerspiele wurden erwähnt und auf deren Gefahren hingewiesen. Vermeintlich harmlose Games wie „Roblox“ können einerseits genutzt werden, um fragwürdige, oft gewalttätige virtuelle Welten aufzubauen und dienen andererseits erwiesenermaßen zur Manipulation und Radikalisierung, vor allem über die Chatfunktionen, die zur Kontaktaufnahme genutzt werden.

Als der ebenso kurzweilige wie fassungslos machende Vortrag zu Ende war, konnte man die Spannung im Raum förmlich greifen. Wie gehen wir damit um, wie können wir unsere Kinder schützen? Darauf gibt es keine einfache Antwort. Vor allem müssen den Sorgeberechtigten die Gefahren bewusst sein und sie sollten wissen, dass sie in der Verantwortung sind. Damit Kinder nicht Opfer oder gar Täter werden, müssen sich alle engagieren, die am Erziehungsprozess beteiligt sind. Für diese Erkenntnis hat die Veranstaltung einen wichtigen Beitrag geleistet. An den Gesprächen mit Eltern, Schülern (im Nachhinein) und auch im Lehrerzimmer merkte man, dass alle Beteiligten wirklich bewegt und betroffen waren.

Wir danken hiermit den beiden Referentinnen Frau Polizeihauptmeisterin Scheller und Frau Polizeihauptmeisterin Ernst für den anschaulichen und aufschlussreichen Abend sowie dem Dienststellenleiter Herrn Polizeirat Haspel, unter dessen Federführung das Projekt „Cybercrime“ ins Leben gerufen wurde.

Damit auch die Sorgeberechtigten, die nicht am Elternabend teilnehmen konnten, diese wichtigen Informationen erhalten und nutzen können, finden Sie hier einen Elternbrief der Polizeiinspektion mit Tipps, Erläuterungen und Links zum Thema.

Elternbrief der Polizei

Bitte nehmen Sie alle das Problem sehr ernst und schützen Sie Ihre Kinder.